Stottern: Ursachen, Symptome, Verlauf

Viele Menschen glauben aus sich heraus zu wissen, was Stottern ist und was man tun muss, damit es weggeht. Dieses vermeintliche Wissen beruht jedoch oft nur auf Vorurteilen und Fehleinschätzungen.

Wir freuen uns deshalb, dass Sie sich „aus erster Hand“ informieren möchten – bei uns, der Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe. Durch aktuelle Fakten entkräften wir die alten Mythen und geben Antwort auf einige der häufigsten Fragen zur Redeflussstörung Stottern.

Was ist Stottern?

Stottern ist eine Störung des Sprechablaufs, eine so genannte Redeflussstörung. Wer stottert, weiß genau was er sagen möchte, kann es in dem Moment jedoch nicht störungsfrei aussprechen.

Kernsymptome

Stottern äußert sich durch unfreiwillige Wiederholungen von Silben und Lauten, Dehnungen von Lauten und hörbaren oder so genannten "stummen" Blockierungen. Diese Kernsymptome können je nach Mensch und auch beim einzelnen Stotternden je nach Situation und persönlicher Verfassung unterschiedlich häufig und deutlich auftreten.

Begleitsymptome

Viele Stotternde entwickeln Begleitsymptome. Sie können sichtbar sein, zum Beispiel Anspannung der Gesichtsmuskulatur oder Körperbewegungen. Unsichtbar sind begleitende Symptome wie Sprechängste oder das Vermeiden und Verschleiern von Stottern. Dabei werden blitzschnell Wörter ausgetauscht, Füllwörter genutzt oder Sprechsituationen werden generell vermieden.

Begleitsymptome können stotternde Menschen im Alltag extrem belasten, sich weiter verstärken und zum sozialen Rückzug führen.

Warum stottert man?

Nach heutigem Kenntnisstand sieht man die Hauptursache von Stottern in einer vererbten Veranlagung dazu, die nicht zwangsläufig, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Auftreten von Stottern führt. Stottern ist also eine neurologisch bedingte Störung des Redeflusses. Sie lässt keinerlei Rückschlüsse auf die Intelligenz, den Charakter oder die Herkunft der betroffenen Person zu.

Das Gehirn steuert das Sprechen

Sprechen an sich ist ein hochkomplexer Vorgang. Unser Gehirn muss eine Vielzahl von Impulsen empfangen und weiterverarbeiten, damit der Sprechvorgang funktioniert. Einige dieser Abläufe sind bei stotternden Menschen beeinträchtigt. Das Gehirnareal, das für die Steuerung der Sprechmuskeln zuständig ist, wird von den anderen beteiligten Arealen nicht störungsfrei beliefert. So misslingt die Vorbereitung auf die anstehende Sprechaufgabe – der Mensch stottert. (Videotipp: "Ist Stottern Gehirnsalat im Kopf?", Vortrag von Prof. Dr. Martin Sommer).

 

Häufigkeit und Verlauf

  • etwa 1% aller Menschen stottert
  • mehr als 830.000 Menschen in Deutschland
  • meist entsteht Stottern im Alter von 2-6 Jahren
  • ca. 5% aller Kinder stottern
  • bei 70-80% legt es sich wieder
  • 20-30% dieser Kinder behalten ihr Stottern
  • bis ins hohe Alter lässt sich Stottern gut behandeln
Faktencheck Stottern - Häufige Fragen und Mythen aufgeklärt

Faktencheck Stottern - Häufige Fragen und Mythen aufgeklärt

Basisinfos Stottern & Selbsthilfe

Broschüre (A5)

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Antworten auf die häufigsten Fragen und wichtige Fakten rund um Stottern.

Zur Vertiefung bietet unser YouTube-Kanal "wir stottern" fachliche Videos und Filme aus der Selbsthilfe.

Häufige Fragen / Q&A


Nein. Die Annahme, dass Stotternde einen Schock erlebt haben müssen oder eine „schlimme Kindheit“ hatten liegt meist daran, dass Anlässe kurz vor dem erstmaligen Auftreten des Stotterns als Ursache missverstanden werden.

Beispiel: Die kleine Mina beginnt zu stottern. Kurz vorher kam ihr Brüderchen zur Welt, Mina muss die Aufmerksamkeit ihrer Eltern jetzt zwar teilen. Da es jedoch eine genetische Veranlagung zu Stottern braucht, hätte auch jedes andere Erlebnis Minas Stottern „hervorrufen“ können. Es besteht kein ursächlicher Zusammenhang mit der Geburt des Bruders.

Nein. Stottern ist nicht durch Eigenschaften der Persönlichkeit verursacht, denn Stottern ist eine neurologisch bedingte Störung des Sprechens. Man stottert also nicht, weil man schüchtern ist oder ängstlich, aber man zieht sich eventuell eher zurück, weil man stottert und negative Reaktionen damit erfahren hat oder sie befürchtet. Stotternde schämen sich oft für ihre Redeflussstörung.

Auch Aufregung ist keine Ursache für Stottern, sondern eher ein Begleitsymptom. Stotternde können eine starke innere Anspannung und Druck vor bzw. beim Sprechen empfinden, da sie eigentlich nichts mehr möchten, als fließend zu sprechen.

Singen und sprechen werden von verschiedenen Bereichen und Abläufen im Gehirn gesteuert. Da Stottern eine neurologisch bedingte Störung des Sprechens ist, tritt Stottern beim Singen nicht auf. Hinzu kommen Erklärungen wie eine beim Singen und Sprechen unterschiedliche Atmung.

Singen tut zwar jedem Menschen gut und für Stotternde ist es ein schöner Moment, sich selbst "flüssig" zu hören. Dennoch ist es kein alltagstauglicher Hinweis oder gar Ratschlag, stotternde Menschen zum Singen ihrer Wortbeiträge aufzufordern.

"Nach der Pubertät ist eine vollständige Heilung selten. Vor allem bei Kindern kann es zu Phasen ohne Stottern kommen. Dies muss nicht immer eine Heilung sein. Heilung bedeutet, dass mindestens 12 Monate lang kein Stottern hörbar war und die Person nichts tun musste, damit das Sprechen flüssig bleibt."(Quelle: „Patientenleitlinie Redefluss-Störungen: Stottern und Poltern“ zur S3-Leitlinie „Pathogenese, Diagnostik und Behandlung von Redeflussstörungen“ der AWMF vom 12.01.2018)

Weitere Informationen zur Frage nach Heilung von Stottern sowie zu Therapie-Möglichkeiten finden Sie auch in unserer "Infothek Stottertherapie".

Nein, Stottern zählt nicht zu den Sprachentwicklungsstörungen. Bei einer Sprachentwicklungsstörung hat ein Kind zum Beispiel Probleme mit dem Wortschatz oder der Grammatik, vielleicht auch mit der Aussprache oder generell mit dem Verstehen von Sprache.

Stottern wird als Behinderung anerkannt. Es wird als Sprech­störung den Sprach­behinderungen zuge­ordnet.

Nach dem Sozialgesetzbuch (§ 2 Abs. 1 SGB IX) haben Menschen eine Behinderung, wenn sie „körperliche, seelische, geistige oder Sinnes­beein­trächti­gungen haben, die sie in Wechsel­wirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleich­berechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahr­scheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.“ Die Rechts­prechung hat Stottern in diesem Sinne als Behinderung anerkannt. Die Gerichte orientieren sich dabei auch an der so genannten ICD-10 Klassifizierung, die das Stottern als Störung beschreibt (ICD-10 F98.5).

Der individuelle Grad der Behinderung kann auf Antrag durch eine ärztliche Begut­achtung festgestellt werden. Für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs in Schule, Ausbildung und Studium ist eine formelle Feststellung des Grades der Behinderung jedoch nicht erforderlich.

Beim lautlosen Lesen stottert kein Mensch. Stottern ist eine Störung des Sprechens, das bedeutet sobald keine Laute erzeugt werden müssen/nicht gesprochen wird, gibt es kein Stottern. Ebenso verhält es sich bei Gedanken. Es findet keine Lauterzeugung, kein Sprechen statt, die Gedanken sind also – fließend. Auch bei stotternden Menschen.

In Fremdsprachen treten von Stotternden zu Stotternden unterschiedliche Symptome auf. Manche stottern genauso viel und deutlich, wie in ihrer Muttersprache. Andere stottern dann mehr oder sogar weniger. Die Gründe dafür sind ebenso unterschiedlich. Manche Stotternde sind zum Beispiel sehr routiniert darin, ihre Stottersymptome durch das Austauschen von Wörtern zu vermeiden. In einer Fremdsprache kann es dafür an den notwendigen Vokabeln, dem Wortschatz fehlen. 

Es gibt keine Alternative für den eigenen Namen. Stotternde Menschen wissen also zum Beispiel bei einer Begrüßung genau, dass sie jetzt exakt "Holger Meyer" sagen müssten – kein Austauschen, kein Vermeiden möglich. Das erzeugt Druck und steigert die eigene Erwartungshaltung. Holger möchte ja unbedingt flüssig sprechen. Umso mehr er sich darum bemüht, sein Stottern zu verhindern, umso größer ist die Gefahr, das genau das dann nicht gelingt.

Das originäre neurogene nicht-syndromale Stottern ist das übliche und bekannte Stottern (Anm.: Darum dreht es sich auch bei uns, der BVSS). Bisher wurde es als "idiopathisches Stottern" bezeichnet. Dieses gewöhnliche Stottern beginnt in der Regel irgendwann in der Kindheit, ohne dass es dafür einen bestimmten Auslöser gibt.

Das originäre neurogene syndromale Stottern tritt bei manchen genetisch verursachten geistigen Behinderungen auf, etwa bei der Trisomie 21, oder bei anderen neurologischen Störungen wie dem Tourette-Syndrom.

Das erworbene neurogene Stottern tritt manchmal bei Hirnschäden auf. Ein solcher Hirnschaden kann zum Beispiel durch eine Schädelverletzung entstehen, durch Hirntumore oder durch einen Schlaganfall.

Das psychogene Stottern ist selten und kann aufgrund einer traumatischen Erfahrung oder bei einer anderen psychischen Erkrankung auftreten. Dieses Stottern kommt aber im Kindesalter so gut wie gar nicht vor. Manche Eltern denken, ihr Kind würde vielleicht wegen einer unangenehmen Erfahrung stottern. Das ist aber in den seltensten Fällen richtig. Kindliches Stottern beginnt meistens ganz von alleine und hat überwiegend genetische Ursachen.

Quelle: „Patientenleitlinie Redefluss-Störungen: Stottern und Poltern“ zur S3-Leitlinie „Pathogenese, Diagnostik und Behandlung von Redeflussstörungen“ der AWMF vom 12.01.2018, Hervorhebung im Text und veränderte Reihenfolge der Aufzählung durch uns.